Flohmarkt ohne Flüchtlinge

Die neue Bezahlkarte schließt Geflüchtete aus vielen Bereichen aus. Über den Stand der Dinge in Bielefeld berichtet Annelie Buntenbach

Viertel-Nr. 52
Flohmarkt ohne Flüchtlinge? Ohne Bargeld geht nichts.

Nach monatelangen Kontroversen hat die Innenministerkonferenz die Bezahlkarte für Geflüchtete beschlossen. Sie soll verhindern, dass Geflüchtete in Zukunft noch Geld überweisen können. Auf keinen Fall jedenfalls ins Ausland. So das beliebteste Argument: »Damit kein deutsches Steuergeld mehr an Schleuser fließt«.
Nun sind Schleuser nicht dafür bekannt, Ratenzahlungen zu akzeptieren. Eine Flucht nach Europa kostet rund 7000 Euro. Ein Asylsuchender erhält nicht einmal das Existenzminimum an Geldleistungen. Aber wenn es doch solche Schleuser gibt, wird ihnen die Bezahlkarte sicher das Handwerk legen.
Auch Bargeldabhebungen sollen eng begrenzt werden. Auf der Karte kann man beliebige Einschränkungen und Zugriffsrechte der Behörden speichern. Ihre Nutzung kann auf bestimmte Regionen, Produkte und Geschäfte beschränkt werden.

Rechtliche und praktische Probleme

Dies soll der Verwaltungsvereinfachung und Entlastung der Kommunen dienen. Auf Nachfrage bei der Bielefelder Stadtverwaltung ergibt sich ein ganz anderes Bild. Die Stadt sieht im Fall einer Einführung der Bezahlkarte mehr bürokratischen Aufwand auf sich zukommen. Heute gibt es ein gut eingespieltes System, das durch die Karte nur verkompliziert würde. Grundsätzlich kann jede*r Geflüchtete bei der Sparkasse Bielefeld ein Basiskonto einrichten, das er nicht überziehen, über das er aber verfügen kann.
Inzwischen häufen sich jede Menge rechtlicher, aber auch praktischer Probleme. Mehrere Gerichte haben Klagen gegen die ›50-Euro-Grenze‹ für Bargeldabhebungen stattgegeben. Das Vergabeverfahren für die Karte musste abgebrochen werden. Ein großer Discounter hat angekündigt, sie nicht annehmen zu wollen. Die Einschränkung der Überweisungsmöglichkeiten führt absehbar zu Problemen bei Monatstickets, Handyverträgen, Sportvereinsbeiträgen. Weitere absurde Folge: »Kein Einkauf auf Markt, Flohmarkt oder Online-Einkauf von vergünstigten Produkten, auf die gerade Sozialleistungsberechtigte angewiesen sind«, so der Bielefelder ›AK Asyl‹.
Sachlich also bereits vor dem Start ein Desaster. Die Bezahlkarte wurde trotzdem beschlossen. Als ein Symbol im Wettbewerb von: »Wer ist der härteste Hund im Land?« Übrig bleibt am Ende die massive Einschränkung in der selbstbestimmten Lebensführung der Geflüchteten. Schikane als Teil eines Migrationsabwehrdiskurses, der Wasser auf die Mühlen der Rechten kippt.

Keine Verpflichtung für Kommunen

Verpflichtend ist ihre Einführung für die Kommunen bislang nicht. In Bielefeld wird sie bisher abgelehnt. Ein breites Bündnis unterschiedlichster Initiativen forderte jüngst den Rat der Stadt Bielefeld auf, »sich eindeutig gegen die Einführung einer Bezahlkarte auszusprechen!« Im Integrationsrat der Stadt ist eine breite Mehrheit dagegen. Die Mitgliederversammlung der Grünen beschloss am 4. Juli »Nein zur Bezahlkarte!« und fordert die grüne Landtagsfraktion auf, sich gegen ihre Einführung einzusetzen. Der Ball liegt jetzt in Düsseldorf. Nach der Sommerpause stehen die nächsten Entscheidungen auf der Landesebene an. Der Städtetag erwartet von der NRW-Regierung »weitergehende verbindliche Regelungen zur Bezahlkarte, um eine landesweit größtmögliche Anwendung der Bezahlkarte zu gewährleisten.«
Trifft das Land eine für alle Kommunen verbindliche Regelung, wäre Bielefeld schnell mitgefangen. Wer also diese Schikane gegenüber Geflüchteten nicht will, ist gut beraten, in den nächsten Monaten das seine dazu beizutragen und die kritische Haltung der Stadtgesellschaft zur Bezahlkarte vernehmbar zu machen.

Perspektivwechsel nötig

Aber es geht um mehr. Es geht um einen Perspektivwechsel in der gesellschaftlichen Debatte. Die Bezahlkarte ist nur ein Baustein in dem Überbietungswettbewerb von symbolischen Forderungen zur Migrationsabwehr. Den sich inzwischen fast alle Parteien auf die Fahne geschrieben haben. Dabei stärkt dies allein die extreme Rechte. Und führt zu immer absurderen Ergebnissen. So wird etwa im Haushaltsentwurf der Ampel-Regierung für 2025 das Geld für Integrationskurse halbiert – trotz des großen Bedarfs. Bundes- und Landesmittel für die Integration in den Arbeitsmarkt, für Migrationsberatung und Sprachkurse werden zusammengestrichen. Obwohl solche Investitionen in den gesellschaftlichen Zusammenhalt dringend nötig sind.
Um diese Diskussion zu verändern, brauchen wir mehr als eine große Kundgebung gegen Rechts auf dem Jahnplatz. Los geht’s!

 

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