Fleiß ohne Preis
Die Menschen sind arbeitsamer als viele denken. Auch Bürgergeldempfänger, hat Bernhard Wagner herausgefunden
Immer mehr Menschen sind auf staatliche Transferleistungen wie das Bürgergeld angewiesen. Glaubt man den Aussagen führender Politiker, sind dafür nicht Arbeitslosigkeit, Wirtschaftskrise, unsichere und schlecht bezahlte Jobs oder fehlende Kinderbetreuung verantwortlich, sondern die Bürgergeldempfänger selbst. Sie sollen faul sein, bilden Banden, um Sozialbetrug zu begehen und verweigern jede Mitwirkung. Die CDU will daher ein härteres Strafregiment und mehr Sanktionen gegen die Ärmsten in der Gesellschaft und plant drastische Einsparungen im Sozialbereich.
In Bielefeld beziehen derzeit 32.900 Menschen Bürgergeld. 10.900 davon sind Kinder. Von den erwerbsfähigen Bürgergeldempfängern haben 5.343 einen Job. Das ist mehr als jeder Fünfte und entspricht in etwa dem bundesweiten Schnitt. Trotzdem reicht der Lohn nicht zum Leben. Teils liegt das an der schlechten Bezahlung, teils sind es aber auch nur Teilzeitjobs. Wer sich etwa alleine um Kinder kümmern muss, dem bleibt oft keine Zeit für eine Vollzeitstelle. Nach einer Studie der Bertelsmann-Stiftung sind viele sogenannte Aufstocker alleinerziehende Frauen. Dazu sagt die Expertin für Familienpolitik bei der Stiftung, Annette Stein: »Es ist erschreckend, dass ein so hoher Anteil der Alleinerziehenden trotz Arbeit auf Transferleistungen angewiesen ist, um das Existenzminimum für sich und ihre Kinder zu sichern.«
Viele Jobs bei der Gebäudereinigung oder im Gastgewerbe sind nicht existenzsichernd. Thorsten Kleile, Regionalchef der Gewerkschaft ›Nahrung Genuss Gaststätten‹, bemängelte schon 2022: »Wer an der Bäckertheke oder im Restaurant arbeitet und dabei nur einen Mini- oder Teilzeitjob hat, für den wird es am Monatsende sehr eng.« Er forderte deshalb mehr sozialversicherungspflichtige Stellen, deren Lohn zum Leben reicht.
Mehr Fleiß als Nutzen
Denjenigen, die arbeiten gehen und ihren niedrigen Lohn mit Bürgergeld aufstocken, fehlt es nicht am Arbeitswillen. Und doch haben sie am Ende trotz ihres meist harten Jobs nur wenig mehr in der Tasche. Besonders Selbstständige, die aufstocken müssen, führen meist ein kleines Geschäft und arbeiten ganztags. Bis zu 100 Euro dürfen Bürgergeldbezieher dazuverdienen. Von allem, was darüber hinaus gezahlt wird, können sie etwa 20 bis 25 Prozent behalten. Der Rest wird angerechnet.
Viel lässt sich mit Bürgergeld nicht sparen. Das Existenzminimum deckt es schon heute nicht ab. Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbände fordern deshalb seit Jahren eine massive Erhöhung. Nach zwei Nullrunden in den letzten beiden Jahren und gleichzeitiger rasanter Steigerung der Lebenshaltungskosten kommen Bürgergeldempfänger noch schwerer über die Runden. Zudem hat das Bundesverfassungsgericht in der Frage der Sanktionen eindeutig entschieden, dass es nicht zulässig ist, Menschen dauerhaft unter das Existenzminimum zu drücken. Der Regelsatz für Alleinlebende beträgt derzeit 563 Euro plus Miet- und Heizkosten. Die Mietkosten sind allerdings so gedeckelt, das dafür kaum eine Bleibe zu finden ist. Ganze 195,35 Euro im Monat sind für die Ernährung einer erwachsenen Person vorgesehen.
Auch Arbeitsmarktforscher Enzo Weber glaubt nicht, dass sich durch Kürzungen und Sanktionen viel einsparen ließe. Er schlägt einen anderen Weg vor: Große Summen ließen sich nur dann einsparen, wenn mehr Menschen nachhaltig in Arbeit gebracht würden. »100.000 Arbeitslose weniger entsprechen etwa drei Milliarden Euro mehr für die öffentlichen Haushalte.« Diese Rechnung ginge wirklich auf.
Ein Berg von Überstunden
Geht es nach dem derzeitigen Kanzler, ist an allen Problemen die Bevölkerung schuld. Die Migranten versauen das Stadtbild, die Armen den Staatshaushalt, die Rentner verweigern die Arbeit und selbst die Vollzeitbeschäftigten, also jene, die hier die Häuser bauen, das Brot backen oder die Pakete ausliefern, sind zu faul und sollen künftig mehr als acht Stunden arbeiten. Übrigens: Berufstätige in Deutschland leisten pro Jahr einen Berg von unglaublichen 1,2 Milliarden Überstunden. Die Hälfte davon unbezahlt.
Wer ist als nächster schuld? Darüber lässt sich nur spekulieren. Sicher ist: Schuld an der Spaltung der Gesellschaft haben diejenigen, die jede Woche einen neuen Sündenbock durchs Dorf treiben. Für die Sanierung des Staatshaushaltes wird bei Bürgergeldempfängern nicht viel zu holen sein. Vielleicht aber bei den 176 Menschen in Bielefeld, deren jährliches Einkommen eine Million Euro überschreitet.