Verräterische Wortwahl

Warum der Ideologie-Vorwurf gegen die rot-grün-rote Bielefelder Rathauskoalition nach hinten losgeht. Von Rolf Botzet

Viertel-Nr. 49
Foto: Rolf Botzet

In verlässlicher Regelmäßigkeit wirft die CDU Bielefeld dem Dreierbündnis im Rathaus »Ideologie« in Verkehrsdingen vor. Die Planungen zur Mobilitätswende folgten nicht sachlichen und faktenbasierten Erwägungen, sondern orientierten sich an einer nicht näher definierten »Ideologie«. So in einem Leserbrief des CDU-Bezirksvertreters Jan-Helge Henningsen. Es ging um die Alternative Motorradparkplätze oder Stellflächen für Fahrräder in der Innenstadt. Der Vorschlag der Grünen zugunsten der Fahrräder setzte sich durch.
»Die Ideologie, die diesem Mehrheitsbeschluss zugrunde liegt…« ist laut Henningsen dafür verantwortlich. Sehr ausführlich beschäftigte sich die neue CDU-Kreisvorsitzende Christiana Bauer auf dem CDU-Neujahrsempfang mit der Ideologie der »Linkskoalition«. Die Grünen hätten sich in Bielefeld zusammen mit SPD und Linken »ideologisch eingemauert.« Die CDU, so zitiert die NW Bauer, laufe mit ihren verkehrspolitischen Forderungen »gegen die rot-grün-rote Ideologiewand«. Auch der CDU-Fraktionsvorsitzende Ralf Nettelstroth spricht von einer »ideologisch fixierten Verkehrspolitik«.
Der Begriff Ideologie, daran sei erinnert, meint »ein geschlossenes Weltbild (...), eine Weltanschauung«, welche laut Staatslexikon »sich auf die politische Praxis bezieht«. Abwertend gebraucht bezeichnet der Begriff ein »falsches Bewusstsein«, das sich sachlichen Argumenten verschließt.
Ist danach der Ideologievorwurf gegen das Dreierbündnis im Bielefelder Rat gerechtfertigt? Von außen betrachtet ist das Handeln der Bielefelder Rathauskoalition einerseits von der Einsicht gesteuert, dass die Klimakrise eine existentielle Bedrohung ist, der entgegengesteuert werden muss. Die Faktenlage und Äußerungen von Wissenschaftlern weltweit belegen die Dramatik. Hier ist der Rathauskoalition faktenbasiertes und nicht ideologisches Handeln zu attestieren.
Eine zweite Triebfeder kann die Absicht sein, urbane Lebensqualität zu schaffen. Heute muss niemand mehr zum Einkauf in die Stadt, der Online-Handel macht´s möglich. Deshalb müssen andere Anreize geschaffen werden, um Kunden dem Einzelhandel zuzuführen. Aufenthalts- und Lebensqualität heißen die Zauberworte. Plätze und Straßen zum Verweilen, heutzutage sehr gerne draußen, begrünte Flächen… Auch hier fällt das Urteil eindeutig aus: Der von den Koalitionären angestrebte Modalsplit - je 25 Prozent Fußgänger, Radfahrer, ÖPNV, Kfz - durch Sperrung einzelner Straßen, dem Reduzieren von Parkplätzen am Straßenrand, die Verbesserungen für Fußgänger, Radfahrer und den ÖPNV sind rationale Schritte, um Bielefeld zukunftsfähig zu machen. Also auch beim Thema »urbane Lebensqualität« Fehlanzeige in Sachen Ideologie.
Dabei gibt es durchaus Kritik von Verkehrsexperten an der Bielefelder Mobilitätswende. Godehard Franzen, Ehrenvorsitzender von ›Bielefeld pro Nahverkehr‹, findet im Koalitionsvertrag von Rot-Grün-Rot »stecken vernünftige Ziele drin.« Er kritisiert aber gleichzeitig, dass die Planung für die Verkehrssektoren von ÖPNV, Fußwege, Radwege und Kfz ohne Zusammenhang geplant werden. Es fehle der rote Faden, das Integrierende, das die einzelnen Verkehrsträger zusammen denkt. Und beklagt die Langsamkeit bei der Umsetzung. Auch Thomas von Sehlen, Mitglied der Initiative ›Radentscheid Bielefeld‹, findet, »die sind willig«. Aber alles würde »verdammt lange« dauern: Seit fast drei Jahren ist in Sachen Fahrradstraßen und geschützten Radwegen kaum etwas geschehen. Denn die Verwaltung wisse, gegen welche Maßnahmen es Widerstand geben werde und nehme diese Maßnahmen häufig gar nicht mehr in Angriff. ›Radentscheid‹ und ›VCD‹ machen wirtschaftlich mächtige und einflussreiche Kreise wie zum Beispiel CDU, FDP, IHK, Handwerkskammer und Kaufmannschaft aus, die auf direktem Weg und an allen demokratisch gewählten Institutionen vorbei direkt Einfluss auf die Spitzen von Politik und Verwaltung ausüben.
Und wie sieht das die CDU? »Mit lokalen Partnern [ließe sich der] öffentliche Nahverkehr ausbauen« und die E-Mobilität fördern. An eine Reduktion des Kfz-Verkehrs wird nicht gedacht. Den vierspurigen Ausbau der B 61 und den Lückenschluss der L 712 begrüßt sie, da die Zahl der Pendler und zugelassenen Autos stetig zunehme. »Dafür benötigen wir eine leistungsstarke Infrastruktur«, findet Nettelstroth. Damit der Auto-Verkehr fließt und nicht stockt. Innerstädtisch, wie beim Pendeln mit dem Auto in und aus der Stadt.
Bleibt als Resümee: Ideologisch sind diejenigen, die alte Gewohnheiten und vermeintliche Gewissheiten verteidigen und nicht diejenigen, die den notwendigen Wandel befördern.

Nachruf der Viertel-Redaktion

Am 6. Juni ist unser Redaktionsmitglied, der Bielefelder Historiker Bernd J. Wagner, verstorben
Am 6. Juni ist unser Redaktionsmitglied, der Bielefelder Historiker Bernd J. Wagner, verstorben

Im Bielefelder Westen war er bekannt, er lebte in der Melanchthonstraße und war oft auf dem Siegfriedplatz anzutreffen. Wer die Bielefelder Tageszeitungen laß, kannte ihn und seine Stellungnahmen zu geschichtlichen Themen. Nicht zuletzt auch als langjähriger Autor unserer Stadtteilzeitung. Als Redaktionsmitglied der ›Viertel‹ war er uns ein kompetenter, verlässlicher und begeisternder Verfasser vieler, meist historisch anregender Artikel. Und er war ein angenehmer, immer interessierter Diskutant, dem wir freundschaftlich verbunden waren. Wir vermissen ihn sehr.

Bernd J(osef) Wagner war kein Bilderbuch-Lebenslauf in die Wiege gelegt worden. Mit der Mittleren Reife verließ er die Schule, um bei Dürkopp eine Ausbildung zum Elektromechaniker zu absolvieren. Im Anschluss arbeitete er dort als Nähmaschinenmechaniker. Erst auf dem Zweiten Bildungsweg legte er das Abitur ab und nahm 1981 das Studium der Geschichte und Soziologie an der Universität Bielefeld auf; 1987 ergänzt um einen Studienaufenthalt an der University of Connecticut, USA. Nach dem Studienabschluss 1988 als MA gelang ihm erst 1991 durch eine vom Arbeitsamt geförderte ›Arbeitsbeschaffungsmaßnahme‹ beim Kreisheimatverein Herford der Einstieg ins Berufsleben als Historiker.

Zwischenzeitlich war Bernd Vater geworden, sein Sohn Kilian wurde 1978 geboren. Aus seiner späteren Ehe mit Dorothea Lübbeke sind Ricarda und Tom Lukas hervorgegangen.

Den Einstieg in die Bielefelder Stadtgeschichte gelang dem gebürtigen Brackweder über das Historische Museum; er engagierte sich für dessen Aufbau und die museumspädagogische Arbeit. Als das Bielefelder Bauernhausmuseum 1995 abbrannte, setzte er sich im Rahmen einer Arbeitsgruppe für die Neukonzeptionierung und den Wiederaufbau des Museums ein. 1996 stellte ihn das Stadtarchiv Bielefeld mit dem Schwerpunkt Archivpädagogik ein, dazu kamen die von Bernd selbst gewählten Akzente auf Historische Bildungsarbeit, jüdische Geschichte und Geschichtskultur.

Im Lauf der Jahrzehnte entwickelte er sich zu einer Kapazität und anerkannten Autorität innerhalb Bielefelds zum NS-Regime, zur Ausgrenzung, Deportation und Ermordung von Bielefeldern jüdischen Glaubens. Mit der gleichen Klarheit und Entschiedenheit stritt er für die Umwandlung des Stalag 326 für sowjetische Kriegsgefangene in Schloss Holte-Stukenbrock zu einer Gedenkstätte. Wenn eine der hiesigen Tageszeitungen die Stellungnahme eines Historikers zu einem Thema einholte, dann befragte sie Bernd Wagner. Er wurde der Historiker, der für Bielefeld sprach, aufgrund seiner klaren Solidarität mit Unterdrückten und Verfolgten wurde er Bielefelds moralisches Gewissen in Geschichte und Gegenwart.

Er wusste um seine schwere Krankheit und ging damit offen um. Auch dafür bewunderten wir ihn. Und er blieb, bis es für Ihn nicht mehr möglich war, ein engagierter Mitstreiter. In einer letzten Nachricht schrieb er uns:
»Eine Mitarbeit bei künftigen Ausgaben der Viertel wird es daher nicht mehr geben, obwohl ich das vor einigen Wochen noch für möglich gehalten habe. Ich bin aber sehr glücklich und auch ein wenig stolz, dass ich in den letzten Jahren dabei sein konnte und auch viel in dieser Zeit gelernt habe.«

Das haben wir auch, gelernt und von deinem fröhlichen Wesen profitiert. Wir vermissen dich, Bernd.