Nicht am falschen Ende

An Dusch-Spartipps fehlt es nicht – aber was ist eigentlich mit den Rasenheizungen am Golfplatz, fragt Annelie Buntenbach

Viertel-Nr. 48 - PVC-Stich: Jochen Geilen
PVC-Stich: Jochen Geilen

Na, die warmen Pullover und die Socken für den Winter schon in Gebrauch? Nicht die für den Waldspaziergang, sondern für die kaum geheizte Wohnung. Schließlich müssen wir alle sparen…! An guten Tipps dafür mangelt es jedenfalls nicht. »Mehr als 80 Millionen Menschen leben in Deutschland – und wir alle können etwas beitragen, damit (…) wir das Klima schützen«, heißt es auf der Webseite des Wirtschaftsministers.

Mit dem Privatflugzeug nach Sylt

Wir alle? Etwas? Es geht auch etwas genauer. Einige wenige von den 80 Millionen könnten erheblich mehr beitragen als andere. Die reichsten zehn Prozent der Haushalte beanspruchen mit 23 Prozent einen genauso großen Anteil am Energieverbrauch wie die unteren 40 Prozent zusammen. Würde das obere Zehntel seinen Verbrauch auf das Niveau von Haushalten mit mittleren Einkommen runterfahren, wäre schon mehr als ein Viertel bei den privaten Haushalten eingespart. Verzichtet werden müsste dann auch, aber auf gut geheizte Villen und Pools, auf pfeilschnelle Sportwagen und die Spritztour mit dem Flieger. Der Einkauf nach New York oder mit dem Privatflugzeug zur Party nach Sylt wäre passé.
Statt aber die Reichen unter Druck zu setzen, hagelt es Sparappelle für alle. Für die, die jetzt schon nicht wissen, wie sie mit ihren niedrigen Einkommen über den Monat kommen sollen, klingt das nach Drohung oder Hohn. An der teuren Heizung sparen sie schon lange, wobei sie als Mieter gar keinen Einfluss auf Dämmung, Fenster oder die Wahl der Heizungsanlage haben. Und Geld, um sich statt der alten Energieschleudern endlich die empfohlenen Geräte »mit der besten Effizienzklasse« zu kaufen, gibt ihnen niemand.
Dass die Regierung angesichts galoppierender Preise Entlastungen beschließt, ist gut. Sozial gerecht geht es dabei allerdings nicht zu. Etwa drei Viertel der eingesetzten Milliarden werden nicht an die armen Haushalte fließen, sondern an die Einkommensgruppen, die darüber liegen. Außerdem: Der gedeckelte Gaspreis für die 80 Prozent des Vorjahresverbrauchs sind für die, die schon lange nach Kräften sparen, weil sie sich gar nichts anderes leisten können, kein Energiesparanreiz, sondern eine Schuldenfalle.

Geld für soziale Gerechtigkeit!

Die Schere zwischen arm und reich geht seit Jahren immer weiter auseinander. Die reichsten zehn Prozent besitzen mehr als zwei Drittel des Vermögens in Deutschland. Die Corona-Pandemie war für die oben ein Goldrausch. Unten hat sie viele um die Existenz gebracht. 13.8 Millionen Menschen müssen derzeit zu den Armen gezählt werden. 600.000 mehr als vor der Pandemie.
Das schreit nach Umverteilung – so sehr, dass selbst der sonst so neoliberale Sachverständigenrat eine Reichensteuer empfiehlt, wenn auch befristet. Verkehrte Welt,
wo doch sonst kaum jemand öffentlich über den immensen Reichtum in der Hand von wenigen spricht.
Nötig sind wirksame und gezielte Maßnahmen der Umverteilung. Am oberen Ende eine höhere Vermögens- und Erbschaftssteuer, ein Spitzensteuersatz und eine Übergewinnsteuer. Und die Steuerschlupflöcher endlich schließen. Am unteren Ende statt Gießkannenpolitik gezielte Unterstützung für diejenigen, die es brauchen. Nur wer die Reichen in die Verantwortung nimmt, hat das Geld und die Legitimation, auch anderen etwas zuzumuten. Wer 100 Milliarden für Hochrüstung mobilisiert, hat allerdings auch auf Jahre das Argument verspielt, für die Bekämpfung von Armut und für soziale Gerechtigkeit sei kein Geld da.
Konsequentes Handeln, um das Klima, das Ökosystem vor dem absehbaren Kollaps zu schützen, ist überfällig. Und da sind wir alle gefordert, keine Frage.
Aber die Sparaufforderung an alle darf nicht zu dem Fußabtreter werden, unter den die Regierung alles kehrt, was sie gegen die größten Klimasünder nicht unternimmt.
Dabei geht es nicht nur um die Rasenheizung für Golfplätze und Shopping-Flüge. Ein Tempolimit etwa würde uns sofort den Klimazielen ein ganzes Stück näherbringen. Auch das Militär ist ein Klimasünder, über den nicht geredet wird. Es ist nicht nur tödlich für die Menschen, sondern auch fürs Klima. Aber von dem irrsinnig hohen CO2-Ausstoß von Panzern und Kampffliegern, den Klimakosten von Rüstung und Krieg findet sich in keiner Klimabilanz etwas wieder.
Ich habe mich noch nicht entschieden, ob ich mich am Wochenende in der kühlen Wohnung in die Decke rolle und »eat the rich« gucke. Oder ob ich meinen Winterpullover anziehe und meinen Ärger auf die Straße trage. Natürlich nicht mit den Rattenfängern von rechts außen, sondern mit all denen, die für mehr Solidarität in dieser Republik streiten.

 

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