Platz da!

Das Gewohnheitsrecht vom jederzeit verfügbaren Parkplatz bröckelt. Parken wird ein Riesenthema im Kommunalwahlkampf. Von den Autofreund*innen wünscht sich Christine Russow mehr Realitätssinn

Viertel-Nr. 53 - Foto: Christine Halm/Peter Prestel
Foto: Christine Halm/Peter Prestel

Einen Parkplatz vorm Haus. Immer. Auch wenn es um einen Platz an der Straße geht und nicht etwa auf dem eigenen Grundstück. Jederzeit. Das ist bequem. So war es lange - für Viele. Und so soll es bleiben! Das meinen viele Autohalter*innen auch in Bielefeld, unterstützt von CDU, der FDP und in der Bezirksvertretung Mitte auch gerne mal vom SPD-Bezirksbürgermeister. Wenn es um Parkplätze geht, werfen sie sich ins Zeug. Dafür wird gestritten.
So war das nach einem tödlichen Fahrradunfall, als der Radweg auf der Stapenhorststraße verbreitert wurde und Parkplätze wegfielen. So war es in der Rolandstraße. Da musste vor ein paar Jahren die Durchfahrt für Rettungsfahrzeuge gesichert werden. Aus diesem Grund fallen gerade auch in der Roonstraße 30 Parkplätze weg. Und heftige Gegenwehr wird es auch geben, wenn die Radroute zur Uni und endlich das seit Jahren in der Schublade liegende ›Verkehrskonzept für den Bielefelder Westen‹ umgesetzt wird. Dafür werden Parkplätze zurückgebaut. Und das ist auch gut so!
Es reicht eben nicht, wenn Klimawandel und Hitzewellen den menschlichen Kreislauf in die Knie zwingen oder den geliebten Teutoburger Wald verdorren lassen, einfach alles beim Alten zu lassen. Die Politik hat reagiert: Einen Klimabeirat eingerichtet, den Klimanotstand mit Handlungsoptionen beschlossen, einen Vertrag mit dem ›Radentscheid‹ ausgehandelt und Konzepte für eine Mobilitätswende erarbeitet. Das alles kommt im Leben der Bielefelder*innen an. Und das soll es auch, damit die Stadt klimaneutral werden - und ihren notwendigen Beitrag zum Klimaschutz leisten kann.
Eine Binsenweisheit. Natürlich. Trotzdem wirft die Opposition der Ratsmehrheit aus SPD, GRÜNEN und LINKEN gern ideologische Verblendung vor. Gewohnt markig röhrt die FDP über angebliche »Drangsalierung der Autofahrer«. Und die CDU wettert, dass »Verkehrsraum künstlich verknappt werden soll, zugunsten von Radlern«. Das ist richtig erkannt! Das nennt man politisch steuern oder auch gestalten. Denn natürlich ist der Anreiz größer aufs Rad zu steigen, zu Fuß zu gehen, in Busse und Bahnen zu steigen, wenn der Parkplatz nicht so nah und günstig ist. Und Fahrräder besser durch den Stadtverkehr kommen.

Kein Platz für alle Autos

Es muss umgesteuert werden. Nicht nur wegen des Klimawandels oder Lärm und Feinstaub. Die Zahl der Autos ist in Bielefeld seit dem Jahr 2010 um mehr als 20 Prozent gestiegen. Inzwischen sind laut statistischem Landesamt rund 180.000 PKW in der Stadt angemeldet. Für die steigende Zahl von immer größeren Autos und immer mehr Verkehr ist in der Stadt schlicht und einfach kein Platz. Wenn Menschen zu Schaden kommen, weil der Rettungswagen nicht durchkommt, werden die Klagen laut.
Trotzdem tun die Autofreund*innen so, als könnten sie auf ihr Gewohnheitsrecht pochen und als sei die Stadt dazu verpflichtet, für alle Autohalter*innen Plätze in Wohnortnähe vorzuhalten. Sie führen gern die Schicht arbeitende Krankenpflegerin ins Feld, die ohne ihr Auto nicht zur Arbeit kommt. Und überhaupt: Der Einkauf ist zu schwer, der Baumarkt zu weit draußen und wie sollten die Kinder in die Schule und die Familie in den Urlaub kommen? Schon klar.
Aber Hand aufs Herz. Da geht doch was. Schließlich sind in Bielefeld noch immer 60 Prozent aller Fahrten weniger als fünf Kilometer lang. Und statistisch gesehen nutzen Autohalter*innen ihr Gefährt laut Bundesumweltamt noch nicht einmal drei Prozent des Tages. Die restliche Zeit stehen die Dinger rum und nehmen Platz weg. Trotzdem dominiert der Autoverkehr seit Jahrzehnten die Verkehrsplanung und die Stadtentwicklung. Auch in Bielefeld.

Vorteile für alle

Dabei wurde und wird bei den lauten und selbstbewussten Stimmen der Autofreund*innen gern vergessen, dass viele überhaupt kein Auto haben. Ja, wirklich! Es gibt ein Leben ohne eigenes Auto: Alle, die sich kein Auto leisten können. All jene, die aus Alters- oder Gesundheitsgründen keins fahren dürfen oder noch keine 18 Jahre alt sind. Und natürlich die, die sich bewusst gegen ein eigenes Auto entschieden haben. Zusammen sind das viele Fußgänger*innen, Radfahrer*innen und Nutzer*innen des Öffentlichen Personennahverkehrs. Für sie alle wird der Verkehrsraum neu aufgeteilt – und dafür die jahrzehntealten Privilegien des Autoverkehrs abgebaut. Davon profitieren alle; immerhin sind auch Autofahrer*innen mal zu Fuß oder mit dem Rad unterwegs. Und - für so viel Realität und Ehrlichkeit sollte auch im Kommunalwahlkampf Platz sein - angesichts des Klimawandels muss sich etwas ändern. Damit die Welt halbwegs so bleiben kann, wie sie ist.

 

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